Jenseits des Gewöhnlichen
Am 14. und 15. November 2025 verbrachte ich 2 Tage auf der Hi-Tech Fair in Shenzhen (HTF) und nutzte die unmittelbare Nähe zum Messegelände durch meinen Aufenthalt im Hilton-Hotel direkt neben der Messe. Die Veranstaltung präsentierte sich als dicht gepacktes Schaufenster chinesischer Innovationskraft, mit einem klaren Schwerpunkt auf Robotik und Drohnentechnologien.
Aus meiner Sicht kristallisieren sich drei Kernaussagen heraus:
- Robotik ist vom „Showcase“ in Richtung marktreife Anwendung unterwegs – insbesondere Service-, Logistik- und humanoide Robotik.
- Drohnen sind von der Nische in die Breite gegangen – vom Hobbysegment bis hin zu schwergewichtigen Lösungen für Logistik und Personenbeförderung.
- China positioniert die HTF als strategische Plattform, um technologische Souveränität, Exportfähigkeit und Ökosystem-Stärke sichtbar zu machen.
Diese Trends lassen sich in kurz-, mittel- und langfristige Auswirkungen für Unternehmen und Investoren übersetzen, die ich im Folgenden systematisch aufarbeiten möchte.
Rahmenbedingungen und Organisation der Messe
Setting und Logistik
- Standort & Unterkunft: Übernachtung im Hilton direkt neben den Messehallen dadurch extrem kurze Wege.
- Zugang & Security: Professionell organisierte Einlasskontrollen, standardisierte Badge-Prozesse und klare Besucherströme. Insgesamt wirkte der Zugang gut skaliert auf hohes Besucheraufkommen. (Die bereits in Österreich durchgeführte Online-Besucherregistrierung hat sich als wichtig und richtig erwiesen)
- Besucherführung: Die Messe war in klar abgegrenzte Themenbereiche strukturiert (u. a. Robotik, Drohnen/UAV, Green Tech, KI-Anwendungen, Accessoires, …).
Die Beschilderung und Hallenlogik erleichterten die Orientierung, auch wenn Englischsprachigkeit nicht überall durchgängig gegeben war. - Infrastruktur & Services:
- ausreichend Catering-Points,
- funktionierende digitale Infrastruktur (QR-Codes, Websites),
- darüber hinaus zahlreiche Business-Lounges und Meeting-Areas für Fachgespräche.
Gesamtorganisation
Aus organisatorischer Sicht hinterlässt die HTF den Eindruck einer eingespielten, großskaligen Leitmesse:
- Hohe Ausstellerdichte mit breiter Spannweite: von Start-ups über Mittelständler bis zu großen Tech-Konzernen.
- Starke Präsenz chinesischer Provinzen und Städte, die ihre Innovationsprogramme und Cluster präsentieren – ein klarer Hinweis, dass die Messe auch Schaufenster staatlicher Innovationspolitik ist.
- Programmseitig: viele Pitches, Live-Demos und Bühnenformate mit Fokus auf Use-Cases statt reiner Produktshow.
Technologische Trends und Ableitungen
Robotik – vom Hype zur operativen Einsatzreife
Beobachtete Schwerpunkte:
- Service- und Lieferrobotik (Hotels, Gastronomie, Healthcare, Retail)
- Autonome mobile Roboter für Logistik und Produktion
- Humanoide Robotik als starkes „Schaufenster-Thema“ teilweise noch in der Show-Phase, teilweise bereits mit klar umrissenen Einsatzszenarien (z. B. Sicherheit, Empfang, einfache Servicetätigkeiten)
Kurzfristige Ableitungen (0–2 Jahre):
- Stark wachsender Markt für Service-Roboter in standardisierten Umgebungen (Hotels, Shopping Malls, Krankenhäuser).
- Kostenreduktion und Standardisierung von Komponenten (Sensorik, Antriebe, Arme/Greifer), wodurch Einstiegsbarrieren für neue Anbieter sinken.
- Erste Pilotprojekte im Sicherheits- und Überwachungsbereich, z. B. für Werksgelände, Innenhöfe und kritische Infrastruktur.
Mittelfristige Ableitungen (3–5 Jahre):
- Humanoide Roboter werden von Messe-Showcases zu produktiven Piloten – zunächst in Nischen (Rezeption, einfache Serviceabläufe, Schichtunterstützung im Pflege- & Sicherheitsbereich).
- Integration von Generativer KI und Computer Vision in die Robotiksteuerung, wodurch Interaktion natürlicher und flexibler wird.
- Verstärkte „Robotics-as-a-Service“-Modelle: anstatt Kauf erfolgt Nutzung über Serviceverträge inkl. Wartung, Software-Updates und Datenanalytik.
Langfristige Ableitungen (5–10 Jahre):
- Verschmelzung von Robotik, Digital Twin und KI: simulierte Inbetriebnahme und Optimierung vor dem physischen Rollout.
- Arbeitswelt-Transformation: Robotik wird zum festen Bestandteil von Dienstleistungs-, Pflege- und Sicherheitsprozessen.
- Relevante Regulierungs- und Governance-Fragen (Haftung, Arbeitsschutz, Ethik), die parallel zur technischen Entwicklung adressiert werden müssen.
Drohnen & Urban Air Mobility – von Hobby bis Personenbeförderung
Spektrum der beobachteten Lösungen:
- Consumer-Drohnen für Foto/Video und Hobbyeinsatz
- Industrielle Drohnen für Inspektion, Vermessung, Landwirtschaft, Security
- Cargo- und Lieferdrohnen für Logistik-Use-Cases (Last Mile, schwer zugängliche Regionen)
- Personenbeförderung / Air-Taxis als Visionsträger, teilweise mit Prototypen und vollwertigen Mock-ups
Kurzfristige Ableitungen (0–2 Jahre):
- Weitere Professionalisierung von Inspektions- und Security-Drohnen (z. B. für Anlagenüberwachung, Großareale, Grenzbereiche).
- Hybridmodelle: Kombination von bodengebundener Sicherheit (Kameras, Robotik) mit luftgestützter Überwachung durch Drohnen.
- Enge Kopplung mit Cloud- und KI-Plattformen, um Bild- und Sensordaten in Echtzeit auszuwerten.
Mittelfristige Ableitungen (3–5 Jahre):
- Logistik-Use-Cases werden in definierten Korridoren und Spezialanwendungen (Krankenhäuser, Industrieareale, Inselversorgung) wirtschaftlich tragfähig.
- Regulatorische Sandbox-Modelle für Urban Air Mobility–Pilotstädte, definierte Flugkorridore, enge Kooperation zwischen Herstellern und Behörden.
- Aufbau von Service-Ökosystemen: Wartung, Software-Updates, Versicherungsprodukte, Betriebsdienstleister.
Langfristige Ableitungen (5–10 Jahre):
- Schrittweise Etablierung von Air-Taxi-Korridoren in ausgewählten Metropolen, zunächst zu Events, Business-Zentren oder zwischen Flughäfen und City-Kernen.
- Entstehung eines neuen Mobilitäts-Segments zwischen ÖPNV, Taxi und Helikopterverkehr.
- Massive Bedeutung von Sicherheit, Zuverlässigkeit und gesellschaftlicher Akzeptanz als Erfolgsfaktoren.
Weitere Querschnittsthemen
Auch wenn Robotik und Drohnen im Vordergrund standen, ließen sich quer über die Messe mehrere Grundströmungen beobachten:
- Künstliche Intelligenz als Enabler: Kaum ein Produkt kommt ohne KI-Label aus – insbesondere in Kombination mit Bild- und Spracherkennung.
- Smart City & IoT: Vernetzte Sensorik, Verkehrs- und Umweltmonitoring, Energie-Management.
- Nachhaltigkeit: Energieeffizienz, alternative Antriebskonzepte, Ressourcenschonung sind als Narrative präsent, wenn auch mit unterschiedlicher Tiefe.
Persönliche Eindrücke über die Messe
Aus subjektiver Sicht ergab sich folgendes Bild:
- Hohe Innovationsdichte: Viele Stände mit funktionsfähigen Prototypen und Live-Demos statt reiner Rendering-Slides.
- Starker „Hands-on-Charakter“: Besucher können sehr viel ausprobieren, Geräte antesten und mit Entwicklern sprechen, die Messe fühlt sich mehr nach Labor als nach Showroom an.
- Tempo & Lautstärke: Visuelle Reizdichte, Geräuschpegel und Menschenmengen sind hoch, man spürt das enorme Innovations- und Wettbewerbstempo.
- Internationalität mit chinesischem Schwerpunkt: Internationale Besucher und Aussteller sind vorhanden, die Messe bleibt aber klar in der chinesischen Innovationslogik verankert.
Aus Beratersicht würde ich ergänzend folgende Punkte als berichtsrelevant einstufen:
- China als Robotics- und Drone-Hub:
Die HTF unterstreicht den Anspruch, in Robotik und Drohnen weltweit eine führende Rolle zu spielen, sowohl technologisch als auch hinsichtlich Skalierung und Preisgestaltung. - Geschwindigkeit vor Perfektion:
Viele Lösungen wirken „good enough“ statt „perfekt“, kommen dafür aber schnell in Piloten. Der Fokus liegt klar auf Time-to-Market und iterativer Verbesserung. - Daten als eigentlicher Rohstoff:
Hinter Robotern und Drohnen stehen immer Daten- und Plattformstrategien: Wer die Betriebs-, Bild- und Sensordaten auswertet, kann neue Services, Wartungsmodelle und Geschäftsmodelle aufsetzen. - Chancen für europäische/österreichische Unternehmen:
- Kooperationen bei Kernkomponenten (Sensorik, Software, KI-Module).
- Einsatz der Lösungen in Pilotprojekten in Europa – insbesondere in Logistik, Security und Pflege.
- Aufbau eigener „Robotics & Drones Governance“-Konzepte, um Regulierung, Datenschutz und Haftungsfragen proaktiv zu gestalten.
- Fazit und nächste Schritte
Die 2 Tage auf der HTF in Shenzhen haben klar gezeigt:
- Robotik und Drohnen sind keine Zukunftsmusik mehr, sondern stehen an der Schwelle zu breiter, kommerzieller Nutzung.
- Die Messe fungiert als Frühwarnradar für technologische, regulatorische und gesellschaftliche Entwicklungen, die in den nächsten Jahren auch Europa und Österreich erreichen werden.
- Für Unternehmen und Investoren ergibt sich die Chance, jetzt strategisch Position zu beziehen – sei es durch Pilotprojekte, Partnerschaften oder gezielte Portfolio-Erweiterungen.